Ganz großes Theater an der ADS – oder: Gebannte Stille bei „Empfänger unbekannt“

Am Montag, 17.6. und Mittwoch, 19.6.2019 spielten die beiden kongenialen Schauspieler Michael und Manuel Klein (trotz der Namensgleichheit nicht miteinander verwandt) an der Albrecht-Dürer-Schule vor gefesselt-gebannten, bewegten und begeisterten SchülerInnen und LehrerInnen den Briefroman „Empfänger unbekannt“ von Kressmann Taylor aus dem Jahr 1938.

Das Jahr der Veröffentlichung gibt Hinweise auf das Thema. Zwei beste Freunde, der Deutsche Martin Schulse und der amerikanische Jude Max Eisenstein betreiben gemeinsam in San Francisco eine gut gehende Kunstgalerie. Als Schulse 1932 beschließt, mit seiner Familie zurück nach Deutschland zu gehen, schreiben sich die beiden Freunde Briefe, versichern sich darin ihre Freundschaft, schwelgen amüsant in Erinnerungen, tauschen sich aus über Privates und Berufliches – alles zunächst in vertrautem, heiterem Ton.

Am Anfang sieht Schulse den Aufstieg der Nationalsozialisten kritisch: „Aber ich frage mich, ob er (Hitler) richtig im Kopf ist. Seine Braunhemden sind nichts als Pöbel“, sagt er an einer Stelle. Er fragt: „Ist das Ziel richtig?“.  Im Laufe der Zeit entwickelt sich Schulse jedoch zu einem glühenden Nationalsozialisten und die Geschichte um Freundschaft, Loyalität und Zivilcourage eine große Dramatik und Spannung -und das jenseits von Action und Fantasy-. Das Ende überrascht, die Wendung ist unerwartet und deshalb um so eindrücklicher.

Der kurze Briefroman wurde als szenisches Spiel inszeniert. Auf engstem, intimen Raum brillierten die beiden Schauspieler in ihren Rollen. Je drei hintereinander gestellte Stuhlreihen, einen zwei Meter breiten Gang, zwei Barhocker, ein kleiner Tisch, eine Karaffe, zwei Gläser und der Roman: das war der Bühnenraum, das Bühnenbild. Die SchülerInnen der 9. Klassen, der E- und der Q-Phasen saßen direkt am Geschehen und konnten so das virtuose Spiel der beiden Schauspieler sehen – jede Geste, jedes Lachen, alle Verzweiflung, die Ambivalenz, den Schmerz, das Entsetzen, die Versteinerung. Durch die intensive, packende Darstellung war es unmöglich, sich der Klaviatur der Gefühle, die die beiden Schauspieler zeigten, zu entziehen. Jede/r war berührt, gebannt, nahm intensiv Anteil an der Geschichte und am Ende der Aufführung war der Redebedarf groß.

Es war die hohe Schauspielkunst, die die Aktualität des Werkes zu einem unvergleichlichen, verstörenden und eindrücklichen Erlebnis machte.

Dank der großzügigen Unterstützung des Fördervereines der ADS war es möglich, das Stück an die Schule zu holen.


Empfänger unbekannt

Das Theaterstück ,,Empfänger unbekannt”, basierend auf den Roman ,,Adressat unbekannt”, von Kressmann Taylor, handelt von einer Freundschaft eines jüdischen Deutschen und eines später arischen Deutschen, zur Zeit des Aufstiegs des Nationalsozialismus.

Martin Schulse, gespielt von Michael Raphael Klein, und Max Eisenstein, gespielt von Manuel Klein, leiten zusammen eine erfolgreiche Kunstgalerie in San Francisco, Kalifornien. Als Martin Schulse im Jahr 1932 mit seiner Familie zurück nach Deutschland zieht, halten die beiden Kontakt durch einen Briefwechsel. Während in Deutschland die Nationalsozialisten immer mehr an Macht gewinnen, möchte die kleine Schwester von Max Eisenstein in einem Theater in Berlin auftreten. Eisenstein bittet Schulse darum, auf seine kleine Schwester, mit der er mal eine Romanze hatte, aufzupassen, aber Schulse weigert sich, da er nicht in Schwierigkeiten kommen möchte. Daraufhin zerbricht die Freundschaft und Eisenstein versucht sich für den Tod seiner Schwester zu rächen.

Das Stück wird vor wenigen Menschen mit kaum vorhandenen Requisiten vorgeführt und dauert circa 60 Minuten. Die Schauspieler wollen möglichst nahe am Publikum sein, damit sie die Intensivität besser vermitteln können. Die Schauspieler haben den ganzen Roman auswendig gelernt und tragen ihn mit Emotionen überladen vor. Am Anfang wurde die Freundschaft der beiden so in den Vordergrund gestellt, sodass der Bruch dieser Freundschaft für Gänsehaut gesorgt hat. Einen Briefroman zu verkörpern ist ohnehin sehr schwer und bedarf jahrelanger Schauspielerfahrung, doch für die beiden scheint es kein Problem zu sein.

Am 19.06.2019 wurde das Stück ,,Empfänger unbekannt” an der Albrecht-Dürer-Schule in Weiterstadt aufgeführt. Es gab mehrere Aufführungen für die Jahrgangsstufen 9-13. Sowohl die Lehrer als auch die Schüler waren von der grandiosen Darbietung begeistert. Zwischen den Szenen herrschte teilweise Totenstille und am Ende gab es tosenden Applaus.

Das Stück zeigt, welche Auswirkungen der Nationalsozialismus auf die damalige Zeit hatte und sollte unbedingt an weiteren Schulen aufgeführt werden. Die Schauspieler sind absolute Profis und wissen genau, wie sie ihr Publikum in ihren Bann ziehen können. Ich würde jeden empfehlen sich ,,Empfänger unbekannt” einmal anzusehen und den Briefroman ,,Adressat unbekannt” zu lesen.

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